Umgang mit Menschen, die Gewalt ausgeübt haben 


TW: In dem Text wird (sexualisierte) Gewalt und Umgang mit gewaltausübenden Menschen thematisiert

Für uns als Community war es von Anfang an klar, dass wir das AZ Hafermarkt nicht pauschal als Saferspace deklarieren wollten/können. Wir wollten Menschen nicht die Illusion machen, dass bei uns alle Menschen sicher sind z.B. vor Grenzüberschreitungen oder dem Kontakt zu in der Vergangenheit gewaltausübenden Menschen. Zusätzlich ist das AZ Hafermarkt mehrfach angegriffen worden.

Nun arbeiten wir gemeinsam daran, dass dieser Ort sicherer wird. Das ist für uns ein wichtiger und notwendiger Prozess – der in den letzen Jahren im Rahmen des Kultur – und Wohnprojekts Hafermarkt kaum statt gefunden hat.

Es finden innerhalb unserer Community sehr intensive Auseinandersetzungen zum Umgang mit gewaltausübenden Personen statt und größere Partys beinhalten immer ein Awarenesskonzept. 

Im Rahmen dieser Prozesse und der Etablierung einer kritischen Männlichkeitsgruppe sind einige Täter*innenschaften erkannt worden und in einen bearbeitenden Umgang geleitet worden. Darüber hinaus wird fortlaufend gemeinsam an vielschichtigen und strukturellen Problemen gearbeitet. Ein Schwerpunkt lag von Anfang an auch darauf, wie Cis-Männer mehr Care-Arbeit übernehmen – auch emotionale Care-Arbeit untereinander um FLINTA* zu entlasten. 

In der kritischen Männlichkeitsgruppe ist es uns nicht nur gelungen z.T. offener über gewaltvolle Taten zu sprechen (die vor allem Cis-Männer strukturell verübt haben), sondern auch eine sensiblere Atmosphäre gegenüber betroffenen Menschen zu entwickeln. Vermutlich hat diese kleine Veränderung auch dazu beigetragen, dass betroffene Menschen gewaltausübende Menschen konfrontierten und gegenüber unserer Community weitere Täter*innenschaften offen legten.

Diese Entwicklungen sind schon erste Ergebnisse eines transformativen Prozesses einer Community, die sich nicht nur als anarcha-feministisch labeln möchte, sondern den emanzipatorischen Anspruch auch ernst meint. 

Es wäre gelogen, wenn wir nicht zugeben würden, dass uns dieser Anspruch und der Entwicklungsprozess dahinter nicht immer wieder vor großen Herausforderungen stellt. Jede Täter*innenschaft ist individuell, jeder Prozess verläuft anders und unsere Kapazitäten kommen immer wieder an ihre Grenzen – besonders, wenn es zu Rückschlägen in der Arbeit mit einzelnen gewaltausübenden Menschen kommt. 

Wir als AZ Hafermarkt bieten einer großen kritischen Männlichkeitsgruppe einen Raum um sich hier zu treffen. Diese wird regelmäßig von verschiedenen FLINTA* inhaltlich kontrolliert.

Fakt: Auch Menschen, die vergewaltigt haben, sind in diesem Zeitraum im AZ anwesend – selbst wenn es für Veranstaltungen z.B. einen Ausschluss gibt. Wir haben uns aber aus verschiedenen Gründen dafür entschieden, auch transformative Arbeit vor Ort statt finden zu lassen. Wir sehen diese Prozesse als Teil vom AZ und möchten diese nicht in andere Räume auslagern. Wir möchten Debatten hier vor Ort führen und uns gemeinsam weiterentwickeln. Dabei möchten wir nicht den einfachsten Weg gehen, sondern den Weg aus dem wir potentiell gemeinsam am meisten an Entwicklung ziehen können. 

Allgemein arbeiten wir als Community betroffenenorientiert und mit individuellen Regelungen, wann z.B. gewaltausübende Personen im AZ sein dürfen und wann nicht und welche Rollen diese in Orgastrukturen im AZ einnehmen dürfen. 

Menschen, die vergewaltigt haben, dürfen z.B. nicht hinterm Tresen stehen, kein Dj sein oder Ansprechperson für irgendwelche anderen wichtigen Belange. Sie dürfen aber z.B. Care Aufgaben übernehmen z.B. die Toiletten des Konzertraums reinigen. 

Da der Prozess sehr individuell verläuft, haben wir keinen einheitlichen Umgang mit einzelnen Täter*innenschaften. Wir versuchen Menschen, die sich einem transformativen Prozess annehmen, nicht komplett aus der Community auszuschließen und versuchen Handlungsoptionen zu finden, ohne die Bedürfnisse von betroffenen Menschen zu übergehen. Dieser Aushandlungsprozess ist nicht immer einfach, Bedürfnisse von betroffenen Menschen sehen unterschiedlich aus und verändern sich mit der Zeit.

Wir sind selbst noch weit davon entfernt ein ausgereiftes Konzept bzgl. Täter*innenarbeit zu haben, welches zu unseren Strukturen passt, aber wir arbeiten daran und gerade finden Prozesse statt, in denen wir schnell merken was funktioniert und was nicht. Das bedeutet aber auch, dass nicht immer alles super läuft. Gerade ist auch viel »try & error« woraus sich dann beim nächsten Versuch eine bessere Praxis ergibt. 

Wir möchten Menschen helfen ihr Verhalten zu reflektieren und mit gewaltausübenden Menschen arbeiten (Täter*innenarbeit leisten, damit Täter*innenschaft nicht wieder vor kommt). 

Wir möchten verhindern, dass Menschen (ohne transformativen Prozess) in eine andere Stadt ziehen. 

Wir möchten eine unterstützende und solidarische Community gegenüber betroffenen Personen sein und eine Atmosphäre schaffen, in der Betroffene sich ernst genommen fühlen, als auch gewaltausübende Personen über Täter*innenschaften offen berichten können. 

Wir können nicht versprechen, diesen Ansprüchen jederzeit perfekt gerecht zu werden (auch wir machen Fehler/Prozesse scheitern), aber wir versuchen darauf hinzuarbeiten, dass das unsere festen Diskurse sind, die von uns verinnerlicht werden und an zukünftige Generationen weitergegeben werden. 

Für Menschen im Hinterhaus sehen wir auf Grund der vorherigen Vorfälle keine Option für einen transformativen Prozess. Es gibt auch keine Menschen, die mit ihnen persönlich arbeiten möchten bzw. gibt’s nur wenige Menschen aus dem AZ Umfeld, die überhaupt noch mit Menschen aus dem Hinterhaus reden würden. Generell gibt es kein Vertrauen und das ist ein Grundpfeiler auf dem ein gemeinsamer Prozess überhaupt aufgebaut werden könnte.